Rainer Kamm übergibt die Zügel an Aline Rotter-Focken

Mit einem Jahr Verspätung wurde mit Rainer Kamm ein erfolgreicher Trainer in die verdiente Rente verabschiedet. In 42 Jahren als Trainer sammelten seine Athleten 99 internationale Medaillen. 

Zum Jahreswechsel übergab Rainer Kamm die Zügel in die Hände von Aline Rotter-Focken, die nach ihrer überaus erfolgreichen aktiven Laufbahn mit über 50 Medaillen bei Welt- und Europameisterschaften, sowie Grand Prix einfuhr und zum krönenden Abschluss Olympiagold aus Tokio mit in die Heimat nahm.

Zurück zu Rainer Kamm, der Aline Rotter-Focken ein ganzes Stück auf ihrem sportlichen Weg begleitete. Im beschaulichen Städtchen Thale im Harz machte Rainer Kamm 1969 seine ersten Schritte auf der Ringermatte, nachdem er als 10-Jähriger eigentlich mit Judo begonnen hatte. „Doch dann ist der Trainer verstorben und ich habe mit Ringen weiter gemacht“, erzählt Rainer Kamm vom Start als Griechisch-Römisch-Spezialist. Sein erster Trainer war Dieter Sommermeyer, „… der ist ein Großonkel von Janny Sommermeyer, die heute am Bundesstützpunkt Frankfurt(O.) trainiert“, lacht Rainer Kamm über die oftmals kleine Ringerwelt.

1969 wurde er DDR-Vizemeister bei den Schülern, 1971 erstmals DDR-Meister, womit der Weg an das Leistungszentrum SC Chemie Halle geebnet war. Dort musste ich auf Freistil umsatteln, war aber auch da erfolgreich und schaffte es auch bis in die DDR-Jugend- und Juniorenauswahl“, so Rainer Kamm, der in Halle inmitten sehr guter Ringer aufwuchs, die sich als starke interne Konkurrenz erwiesen. Sein Abitur hatte Rainer Kamm inzwischen mit Auszeichnung bestanden und ein Mathematikstudium begonnen, dass er dann allerdings abbrach, als ihm ein Trainerjob am Ringer-Leistungszentrum in Halle angeboten wurde.

Damit begann 1976 die Trainerlaufbahn von Rainer Kamm, der bereits ein Jahr später seine erste Ringerklasse betreute.  Bereits 1979 trainierte er den Anschlussbereich, nach den Europameisterschaften 1985 in Leipzig wurde Rainer Kamm zum Spitzentrainer beim SC Chemie Halle berufen. Bereits ein Jahr später trainierte er als DDR-Auswahltrainer die Junioren. Erfolgreiche Ringer wie Hans Gstöttner, oder Sven Thiele wurden von Rainer Kamm geprägt. Zum damaligen Zeitpunkt bestand die DDR-Auswahl zur Hälfte aus Athleten, die am SC Chemie Halle trainierten.

Die politische Wende und die damit einhergehende Grenzöffnung ließ die damaligen DDR-Leistungszentren regelrecht ausbluten. 36 der besten Leistungsträger verließen den SC Chemie Halle in Richtung der alten Bundesländer. Auch die Trainer wurden nicht weiter beschäftigt, aus dem Trainerteam des SC Chemie verblieb neben Rainer Kamm nur Bernd Ratschunat, die mit einer jungen Trainingsgruppe einen Neustart versuchten. Mit diesen jungen Talenten schafften sie es bis in die 1. Bundesliga, 2003 musste das Team jedoch aus wirtschaftlichen Gründen aus dem Oberhaus zurückgezogen werden. Das Ringer-Leistungszentrum in Halle verlor den Status als Bundesstützpunkt, damit war Ringen keine geförderte Sportart mehr.

Nachdem Rainer Kamm 2005 kurzzeitig als Bundestrainer amtierte, bekam er 2009 das Angebot, die Sportfördergruppe im freien Stil, sowie den weiblichen Ringkampf in Schifferstadt zu übernehmen. Er nahm das Angebot an und feierte vor allem mit dem weiblichen Nachwuchs großartige Erfolge. „Als Trainer habe ich zwei Olympische Spiele und zwei Olympische Jugendspiele erleben dürfen, dazu eine Vielzahl von Welt- und Europameisterschaften, insgesamt viele Höhen, an die man sich gerne erinnert, aber auch Tiefen durchgemacht“, blickt Rainer Kamm nun seiner Zeit als Rentner entgegen, wobei es ihn zurück nach Sachsen-Anhalt zieht. Ein Abschied mit einem lachenden- und einem weinenden Auge angesichts vieler Geschichten, die in ihrer Gesamtheit wohl ein Buch ergeben. „Eigentlich wäre ich schon vergangenes Jahr in Rente gegangen, doch bedingt durch die Verschiebung der Olympischen Spiele, habe ich noch ein Jahr drangehangen“, ist für Rainer Kamm nun endgültig Schluss, wobei er unumwunden zugibt: „… die Arbeit mit den Mädels wird mir fehlen“. Und auch die vielen jungen Damen, die er in seiner Trainerlaufbahn betreut hat, werden den ruhigen, fachkundigen Coach am Mattenrand noch lange in Erinnerung behalten, der nun die Zügel an Aline Rotter-Focken übergibt und weiß, dass sie dort in guten Händen sind.

Bericht: Jörg Richter
Foto: Kadir Caliskan