Resümee mit Sportdirektor Jannis Zamanduridis

Kadir Caliskan: Hallo Jannis, wie zufrieden kann man mit dem Abschneiden bei dieser Europameisterschaft sein und mit welchem Gefühl tritt man die Heimreise an?

Jannis: Gerade heute nach dem letzten Kampf von Achmed Dudarov läuft man Gefahr, sich dabei zu ertappen, enttäuscht zu sein. Zu knapp war die Niederlage im abschließenden Kampf um Bronze von Ahmed Dudarov der im kleinen Finale mit 4:4 unterlegen war. Dennoch können wir mit dem Gesamtergebnis der Mannschaft sehr zufrieden sein. Grundsätzlich waren wir auf Grund unterschiedlicher Konstellation nicht mit einer zu hohen Erwartungshaltung hier nach Kaspijsk gereist. Mit insgesamt 8 Finalteilnahmen und davon zwei Medaillen haben wir unsere Erwartungen allerdings weit übertroffen.

Kadir: Einige deutsche Spitzenathleten fehlten, dafür erhielten viele junge Ringer ihre erste internationale Bewährungschance, warum diese Zusammenstellung und wie fällt hier dein Fazit aus?

Jannis: Unser klarer Saisonhöhepunkt in diesem Jahr ist die Weltmeisterschaft in Budapest. Somit trafen wir mit einigen Athleten die Entscheidung die Europameisterschaft auszulassen und jüngeren Athleten eine Chance zu geben. Hinzu kamen aber auch Verletzungen, wie zum Beispiel bei Luisa Niemesch oder Aline Focken oder der eine oder andere Gewichtsklassenwechsel erfahrener Athleten. Grundsätzlich kann man sicher festhalten, dass trotz der verschiedenen Konstellationen, gerade auch die Debütanten sich stark in Szene gesetzt und ihre Sache gut gemacht haben.

Kadir: Zwar nicht zu den Debütanten aber zu den jungen Ringern zählt gewiss auch noch Denis Kudla. Hat er ein Sonderlob verdient und sticht etwas aus dem Team heraus?

Jannis: Sicher kann man die Leistung von Denis gar nicht hoch genug bewerten. Mit welcher Konstanz er bei Großereignissen Leistung bringt ist beeindruckend. Bei jedem internationalen Einsatz im Seniorenbereich errang er eine Medaille für den DRB und hat auch diesmal eine grandiose Leistung abgerufen. Ein Missgeschick, wie im Halbfinale, unterläuft eben selbst Weltklasseathleten hin und wieder. Besonders stark war, wie er das weggesteckt hat. Im kleinen Finale hat sich diese Niederlage überhaupt nicht mehr bemerkbar gemacht, gegen einen Weltklassemann wie Abbasov hat er alle taktischen Vorgaben perfekt umgesetzt und sich die Medaille mit einer technisch-taktischen Meisterleistungen hoch verdient.

Kadir: Um noch einmal auf die Teamzusammenstellung zurück zu kommen, wäre es nicht von Vorteil gewesen, diese Europameisterschaft zu nutzen, um die nötigen Erfahrungen mit dem neuen Wettkampfmodus zu sammeln? Gerade im Hinblick auf die Gewichtsreduktion, ist der neue Zeitplan doch eine große Veränderung.

Jannis: Es ist richtig, sich am neuen Wettkampfmodus neu zu orientieren und Erfahrungen zu sammeln. Das betrifft jeden Athleten. Generell ist es schwierig allgemeine Erkenntnisse auf alle Athleten abzuleiten. Jeder Athlet wird unterschiedlich mit dem Wiegen direkt am Wettkampftag zu Recht kommen. Für einige passt der neue Wettkampfmodus und die neunen Geichtsklassen optimal. Bei anderen Athleten müssen wir noch schauen. Hierfür sehe ich das Jahr 2018 aber als perfektes Jahr um dies herauszufinden. Nicht zuletzt auch die WM. Fernziel ist und bleiben natürlich die Olympischen Spiele 2020 und somit gilt es ab der WM 2019 genau zu wissen, wie man mit der Situation umzugehen hat.

Martin Obst gewinnt EM-Silber

Kadir: Mit Martin Obst gelang der erste Finaleinzug bei einer EM seit über zehn Jahren (letztmals Marcel Ewald 2007) im Freistlbereich.

Jannis: Dieses Abschneiden freut uns natürlich alle besonders. Mich persönlich freut es sehr, dass der jahrelange Einsatz von Jürgen Scheibe nun auch im Seniorenbereich Früchte trägt. Er hat es geschafft mit viel Engagement und der notwendigen Empathie Trainer und Athleten „mitzunehmen“, ihnen das Vertrauen zu schenken und so für eine tolle Entwicklung und Stimmung im Team zu sorgen. Die Athleten danken es ihm mit Leistung. Und so hätte es neben der Silbermedaille beinahe noch für eine weitere Medaille gereicht. Auch für Martin Obst hat es mich sehr gefreut. Er hat ein bärenstarkes Turnier gerungen und war in jedem Kampf von der ersten bis zur letzten Sekunde voll da. Auch im unterlegenen Finale verfolgte er klar die Vorgaben, geriet für die viel zu frühe Aktivitätszeit allerdings in Zugzwang und unterlag dem Lokalmatador nach großem Kampf nur mit 3:6.

Kadir: Die größten Chancen auf weitere Medaillen hatten sicher Alexander Semisorov und Ahmed Dudarov. Kann man schon davon sprechen, nun auch im Freistil an der europäischen Spitze zu sein?

Jannis: Für eine solche Aussage ist es natürlich etwas zu früh, für die aktuelle EM kann man sie aber gut und gerne so stehen lassen. Bei Alexander Semisorov merkte man deutlich die verletzungsbedingte suboptimale Vorbereitung. Wie gut er sich dennoch ringerisch gegen seinen internationalen Spitzengegner präsentierte, zeigt welch ein Potenzial er besitzt. Bei ihm ist es für mich eine Frage der Zeit, bis er eine Medaille erkämpfen kann. Ahmed hat ein sehr starkes Turnier gerungen und sich am Ende leider nicht belohnen können. Bei seinem kleinen Finale gegen den 3. Weltmeister aus Georgien war die Medaille zum greifen Nahe, leider hat er seinen Vorsprung nicht über die Zeit gebracht.

Kadir: Um zum Abschluss zu kommen, was kann man aus dieser Europameisterschaft für die Zukunft mitnehmen? Welche Rückschlüsse zieht man für die WM in Budapest und gibt es von eurer Seite bereits eine Vorstellung oder Zielsetzung?

Jannis: Wie bereits erwähnt sind wir mit dem Gesamtergebnis zufrieden, die Umstände mit der Anpassung des Wettkampfmodus ist nicht einfach, dies gilt jedoch für alle Nationen gleichermaßen. Dennoch stimmt mich die Entwicklung positiv. Alle drei Bundestrainer, Michael Carl, Patrick Loes und Jürgen Scheibe haben gemeinsam mit ihren Co.-Trainern und dem gesamten Betreuerteam einen guten Job gemacht, was sich bestimmt auch, so hoffen wir alle, auch in zukünftigen Ergebnissen und Spitzenleistungen widerspiegeln wird. Um allerdings klare Prognosen für die Weltmeisterschaft zu ziehen, ist es noch zu früh. Unser Ziel ist es selbstverständlich dort wieder mit der stärksten Mannschaft an den Start zu gehen und ähnlich erfolgreich zu sein wie in der jüngsten Vergangenheit.